Unisono
Die Uniform hat einen schlechten Ruf: wir verbinden mit ihr den stumpfen Gleichschritt militärisch hierarchischer Organisationen und blinden Gehorsam. Sie gilt als Gegenteil der Individualität und als ein Synonym für Konformismus. Im Duden aus dem Jahr 1999 wird der Begriff »Uniformität« wiefolgt definiert: »… oft abwertend für Einheitlichkeit, Gleichförmigkeit…«. Und bereits im Grimm'schen Wörterbuchvon 1936 steht hierzu geschrieben: »… der Begriff der Eintönigkeit, Unlebendigkeit, des unindividuellen, schablonenhaften, seelenlosen, fabrikmäßig-mechanischen…«.
Viele Menschen begeben sich aus freien Stücken uniformiert in eine uniformiert agierende Gruppe und behandeln ihre Uniform mit Sorgfalt und Wertschätzung. Der Duden und das Grimm'sche Wörterbuch beschreiben nicht die Uniformität an sich, sondern lediglich eine mögliche Wahrnehmung der Uniformität durch Außenstehende. Eine gültige Definition sollte also einen Schritt weiter zurückgehen und statt der Frage, wie Uniformen wirken können, die Frage stellen, was Uniformen sind.
Uniformität wird durch Kleidung deutlich gemacht. Kleidung übernimmt zusätzlich zum Schutz vor Witterungseinflüssen und unerwünschten Blicken Markierungsfunktionen: mit unserem Kleidungsstil unterstreichen wir unsere Persönlichkeit und treffen eine optische Entscheidung daruber, was wir sein und wie wir wirken möchten. Kleidung ist also eine Art der Komminikation. Fashion talks!
Bei Uniformen handelt es sich um Kleidung – und um Accessoires, Frisuren, etc. –, die sich eine Gruppe von Menschen anlegt. Sie kommunizieren auf vielfältige und mitunter sehr fantasievolle Weise gemeinsame Standpunkte einer Gruppierung an die Außenwelt, während sie intern einen Raum zum gemeinsamen Ausleben von Ritualen und das Gefühl von Gemeinschaft und Geborgenheit bieten. Die Uniform ist das Medium, durch das die Gruppe nach außen mit einer Stimme spricht, also »unisono« auftritt und sie weist gruppenintern den einzelnen Trägern ihre jeweilige Position zu und gibt ihnen das Bewusstsein, in ein soziales Gefüge integriert zu sein. Die Motivationen der einzelnen Menschen, sich in ein solches Gefüge hineinzubegeben, sind wie die Gruppen selbst sehr unterschiedlich, ebenso wie die Dauer des jeweiligen Aufenthaltes in dem durch die Gruppierung definierten Raum. Folgende Motivationen konnte ich feststellen: religiöse, politische, soziale, sportliche, traditionelle, sexuelle, gemeiname musikalische Vorlieben, den Spieltrieb und diverse Kombinationen davon.
Die uniform auftretende Gruppe wird von Außenstehendenals Einheit empfunden. Ob uns nun eine Gruppe Mönche, Punks, ein Trachtenverein oder eine Pfadfindergruppe auf der Straße begegnen: wir nehmen diese Menschen nicht einzeln, sondern als ein Ganzes wahr. Fragt uns jemand hinterher, wie viele Mönche es waren, können wir das oft nur ungefähr beantworten. Auch wenn wir eine einzelne Person aus dieser Gruppe genauer beschreiben sollen, haben wir Schwierigkeiten damit. Das Spektakel der gemeinsamen Inszenierung der Gruppe durch die Uniform lenkt den Betrachter vom Aussehen der Einzelnen ab.
Das heißt jedoch nicht, dass Uniformität und Individualität einander ausschlössen. Die beschriebene Rezeption einer uniformierten Gruppe als ein fast schon organisches Ganzes funktioniert auch durch Uniformen, die eine starke Individualität der Einzelnen zulassen. Die in Jugendbewegungen auftretenden Uniformen wie z.B. die der Punks und Gothics, die Tracht der Jäger:innen sowie die Kostüme der einzelnen Charaktere im Fantasy-Rollenspiel können starke individuelle Ausprägungen aufweisen und sprechen dabei dennoch ihre gemeinsame Sprache. Die Wahrnehmung einer durch individuell unterschiedliche Uniformierungen gekennzeichneten Gruppe und einer durch einheitliche Uniformierungen gekennzeichneten Gruppe sind identisch: die Gruppe wird in beiden Fällen als ein Ganzes gesehen.
Ich habe für die Fotos bewusst Gruppierungen ausgewählt, deren Mitglieder sich freiwillig in die Gruppenstruktur hineinbegeben und eine entsprechende Uniformierung aus eigenem Antrieb anlegen, obwohl die beschriebenen Codes durch Kleidung auch für berufliche Uniformierungen gelten. Das Verhältnis von Menschen zu ihrer Berufskleidung ist allerdings in erster Linie beruflich-praktischer und nicht emotionaler Natur, diese Uniform wird nach Beendigung der durch sie beschriebenen Aufgaben ausgezogen, trifft keine persönlichen Aussagen und ist von dem:der Träger:in nicht selbst gewählt. Dabei sind die Grenzen fließend. So habe ich auch eine Gruppe von Mönchen fotografiert, obwohl man ihr Dasein als Mönch als Beruf bezeichnen kann. Hierbei handelt es sich allerdings um mehr als nur um einen Beruf. Ihre Ordenstracht ist äußerer Ausdruck der sehr persönlichen und emotionalen Aussage der Religiosität. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Mönche ihre Uniformierung mit großer Sorgfalt, Wertschätzung und mit Liebe behandeln. Genau diese Liebe zur Uniform ist eine wesentliche Gemeinsamkeit aller Gruppierungen, die ich fotografieren durfte. Mit seiner Uniform trifft der Träger eine Aussage über einen Teil seiner Persönlichkeit und er erkennnt in ihr zudem das Medium, welches ihn als Teil eines bestimmten Ganzen ausweist, sowohl sichtbar für Außenstehende als auch fühlbar für ihn selbst.
Literatur: »Schönheit der Uniformität: Körper, Kleidung, Medien«, Gabriele Mentges und Birgit Richard (HG), Campus Verlag
Die Arbeit »Unisono« hing unter anderem als Einzelausstellung in der Galerie Linda in Hamburg, als Einzelausstellung unter der Schirmherrschaft von ZEIT CAMPUS in der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und in der Galerie »Alles Mögliche« in Berlin, im Museum für Europäische Kulturen in Berlin (Einzelausstellung, im Rahmen der Tagung »Uniformierungen in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade«), in der Kunsthalle der Museen der Stadt Bad Kösen (Einzelausstellung), auf der photokina in Köln, auf der »Inter-cool« im Dortmunder »U«, auf der »Fashion talks« in den Museen für Kommunikation Berlin und Frankfurt am Main (weitere Stationen: Paderborn und Winterthur in der Schweiz), auf der »Mega-Cool« im Kunsthaus Wien und im Rahmen des Ausstellung »Das musste sein« im Rahmen der Ausstellungsreihe »Aufschlag« des BFF in der Barlach Halle K in Hamburg und im Speicher Gramzow in der Uckermark. Sie wurde publiziert in der Erstausgabe von DIE ZEIT CAMPUS, in der ZEIT (Titelgeschichte), in DAS MAGAZIN, INJEKTION, digit!, _imquadrat_ und in dem Buch »Uniformierungen in Bewegung« (HG Gabriele Mentges, Dagmar Neuland-Kitzerow & Birgit Richard, Waxmann Verlag 2007) und erhielt eine Auszeichnung beim Lucky Strike Junior Designer Award 2006. Seit dem 8. Dezember 2011 ist »Unisono« Teil der ständigen Sammlung »Kulturkontakte. Leben in Europa« des Museums Europäischer Kulturen - Staatliche Museen zu Berlin. Seit dem 16. Mai 2013 ist »Unisono« zudem Teil der ständigen Sammlung der Stiftung »Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – Zeitgeschichtliches Forum Leipzig«.
»(Sabines) Betrachtung auf Menschen, die sich aus unterschiedlichen Beweggründen uniformieren ist höchst menschlich, manchmal lustig, nie lächerlich. Ein Muss!« (Meike Kenn)
»Wenn wie es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.« (Heinrich Heine)
The uniform has a bad reputation: we associate it with the dull lockstep of military hierarchical organisations and blind obedience. It is considered the opposite of individuality and a synonym for conformism. In the Duden from 1999, the term "uniformity" is defined as follows: "... often pejorative for uniformity, uniformity...". And already in the Grimm dictionary of 1936 it is written: "... the concept of monotony, lifelessness, the unindividual, template-like, soulless, factory-like-mechanical...".
Many people join a uniformed group of their own free will and treat their uniform with care and appreciation. The Duden and the Grimm's dictionary do not describe uniformity per se, but only a possible perception of uniformity by outsiders. A valid definition should therefore go back a step further and instead of asking how uniforms can appear, ask what uniforms are.
Uniformity is made clear through clothing. Clothing, in addition to protecting us from the elements and unwanted glances, takes on marking functions: with our style of dress we underline our personality and make a visual decision about what we want to be and how we want to appear. Clothing is therefore a form of communication. Fashion talks!
Uniforms are clothes - and accessories, hairstyles, etc. - that a group of people puts on. They communicate in many and sometimes very imaginative ways common viewpoints of a grouping to the outside world, while internally they provide a space for sharing rituals and a sense of community and security. The uniform is the medium through which the group speaks to the outside world with one voice, i.e. appears "u", and internally within the group it assigns the individual wearers their respective positions and gives them the awareness of being integrated into a social structure. The motivations of the individual people to enter into such a structure are, like the groups themselves, very different, as is the duration of the respective stay in the space defined by the grouping. I could identify the following motivations: religious, political, social, sporting, traditional, sexual, common musical preferences, the play instinct and various combinations of these. The uniform group is perceived as a unit by outsiders. Whether we encounter a group of monks, punks, a traditional costume society or a scout group on the street: we do not perceive these people individually, but as a whole. If someone asks us afterwards how many monks there were, we can often only give an approximate answer. Even when we are asked to describe a single person from this group in more detail, we have difficulties doing so. The spectacle of the collective staging of the group through the uniform distracts the viewer from the appearance of the individuals.
However, this does not mean that uniformity and individuality are mutually exclusive. The described reception of a uniformed group as an almost organic whole also works through uniforms that allow for a strong individuality of the individuals. The uniforms that appear in youth movements, such as those of punks and goths, the costumes of hunters as well as the costumes of individual characters in fantasy role-playing games, can have strong individual characteristics and yet still speak their common language. The perception of a group characterised by individually different uniforms and a group characterised by uniform uniforms are identical: the group is seen as a whole in both cases.
I have deliberately chosen groupings for the photos whose members voluntarily enter into the group structure and put on a corresponding uniform of their own accord, although the codes described by clothing also apply to professional uniforms. However, the relationship of people to their professional clothing is primarily of a professional-practical and not of an emotional nature; this uniform is taken off after completion of the tasks described by it, does not make any personal statements and is not chosen by the wearer himself. At the same time, the boundaries are fluid. Thus I have also photographed a group of monks, although their existence as monks can be described as a profession. However, this is more than just a profession. Their religious habit is an outward expression of the very personal and emotional statement of religiosity. So it is not surprising that monks treat their uniforms with great care, appreciation and love. It is precisely this love for the uniform that is an essential common feature of all the groups I was allowed to photograph. With his uniform, the wearer makes a statement about a part of his personality and he also recognises in it the medium that identifies him as part of a certain whole, both visibly for outsiders and tangibly for himself.
literature: »Schönheit der Uniformität: Körper, Kleidung, Medien«, Gabriele Mentges und Birgit Richard (HG), Campus Edition
The work "Unisono" hung, among other places, as a solo exhibition at the Galerie Linda in Hamburg, as a solo exhibition under the auspices of ZEIT CAMPUS at the Albert Ludwigs University in Freiburg and at the gallery "Alles Mögliche" in Berlin, at the Museum für Europäische Kulturen in Berlin (solo exhibition, as part of the conference "Uniformierungen in Bewegung. Vestimentary Practices between Unification, Costuming and Masquerade"), at the Kunsthalle der Museen der Stadt Bad Kösen (solo exhibition), at the photokina in Cologne, at the "Inter-cool" in Dortmund's "U", at the "Fashion talks" in the Museums für Kommunikation Berlin and Frankfurt am Main (further stops: Paderborn and Winterthur in Switzerland), at the "Mega-Cool" in the Kunsthaus Wien and at the exhibition "Das musste sein" as part of the BFF's exhibition series "Aufschlag" in the Barlach Halle K in Hamburg. It was published in the first issue of DIE ZEIT CAMPUS, in DIE ZEIT (cover story), in DAS MAGAZIN, INJEKTION and in the book "Uniformierungen in Bewegung" (HG Gabriele Mentges, Dagmar Neuland-Kitzerow & Birgit Richard, Waxmann Verlag 2007) and received an award at the Lucky Strike Junior Designer Award 2006. Since 8 December 2011, "Unisono" is part of the permanent collection "Kulturkontakte. Life in Europe" of the Museum of European Cultures - National Museums in Berlin. Since 16 May 2013, "Unisono" has also been part of the permanent collection of the Foundation "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Zeitgeschichtliches Forum Leipzig".
"(Sabine's) look at people uniforming for different motivations is highly human, sometimes funny, never ridiculous. A must!" (Meike Kenn)
"If we think about it properly, we are all naked in our clothes."
(Heinrich Heine)